Disziplin und Willensschwäche

Ich fühle mich schlecht, weil ich zu wenig Disziplin habe

Frage:
Ich möchte vorerst erwähnen, dass ich Sie als eine Leitfigur liebe und schätze. Ich liebe Sie für Allah. Meine Beschwerde ist über mich selber. Ich bin jemand, der sehr gerne schläft. Ich habe ein kleines Buch, in das ich hineinschreibe, welche Bücher ich noch lesen muss, wie viele Gebete ich nachzuholen habe und wie viel Qur’ân ich lese. Ich schreibe mir auch Sachen auf, die meine alltäglichen Angelegenheiten betreffen. Ich weiß nicht was der Grund ist, aber ich schaffe es nicht, all dem nachzukommen. Ich fühle mich wie ein Heuchler. Ich leite einen islamischen Unterricht, bekomme jedoch aufgrund meiner Lage schlechte Laune. Ich fühle keine Zufriedenheit und bin traurig. Ich weiß nicht, wie ich mich wieder unter Kontrolle bringen kann. Was ist das? Ist das ein Zeichen von Willenschwäche oder eine Art Krankheit? Ich schaue mir die ’ahâdîth an und erkenne, dass alle Eigenschaften der Heuchler auf mich zutreffen. Ich wünschte ich könnte Sie persönlich kennenlernen und treffen. Ich bitte Sie darum, mir weiterzuhelfen.

Damit Sie mir passende Ratschläge geben können, möchte ich noch Folgendes ergänzen. Nach den Unterrichtseinheiten, die ich leite, lege ich mich nach dem ‘Asr-Gebet schlafen und stehen zum Maghrib-Gebet wieder auf. Wenn ich mich dazu aufrappele mehr zu lesen, mich mit der ‘ibâda zu beschäftigen und den Qur’ân zu rezitieren, mischen sich meine Eltern ein. Sie sagen Sachen wie, „Schließe dich nicht in dein Zimmer ein, wir sehen euch ohnehin schon den ganzen Tag nicht.“ Wenn ich in mein Zimmer gehe, rufen Sie mich die ganze Zeit für sinnlose Angelegenheiten. Was soll ich machen? Egal was ich tue, es fehlt immer hier und da etwas. Wie muss ich mich gegenüber meiner Familie verhalten. Was soll mit meinen eigenen Verwantwortungen geschehen?

Bleiben Sie Allah anvertraut.

Antwort:
Ich sehe es nicht als unpassend an, die jetzige Generation als jene Generation zu bezeichnen, die zwar umgeben von Gaben (ni’ma) und Möglichkeiten ist, aber trotzdem bedauert werden kann. Ihre Sorgen spiegeln dies wider. Während wir mit einer Fülle von Gaben umgeben sind, beschweren wir uns trotzdem darüben, dass dies oder jenes fehlt. Seien es Sie oder ich, unsere Situationen ähneln sich. Wir haben keine andere Möglichkeit, als bei Allah Zuflucht zu nehmen und uns seinem dîn zu unterwerfen. Wir müssen schleunigst zu Ihm zurückkehren. Ich kann Ihnen einige Empfehlungen mit auf den Weg geben, damit Sie Ihre Unzufriedenheit loswerden können. Es sind jedoch keine Patentrezepte. Um Ihnen eine gänzliche Lösung bieten zu können, ist es notwendig, dass Ihre Lage und die Ursachen näher analysiert werden. Dies sollte in Gegenwart eines Psychologen stattfinden.

  • Ja, wir sollten uns selber kontrollieren. Wir können uns selber betrachten und schauen, in welcher Lage wir stecken und wie es vorangeht. Jedoch sollten wir uns nicht auf die Stufe der Heuchlerei stecken und uns auf Anhieb damit gleichstellen. Wir sollten auch keine Ergebnisse verkünden, die den Eltern wie ein indirekter Vorwurf erscheinen können. Im Volksmunde würde man dazu sagen, „mit dem Kopf durch die Wand gehen.“ Dies wäre gewiss eine Gunst für den Schaytân, der uns damit auslaugen und dies gegen uns einsetzen möchte. Es sollte zu unserem Prinzip werden, mit Sorgfalt zu handeln ohne in Übertreibung abzuschweifen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir menschlich sind und aus Haut und Knochen bestehen. Es ist normal, dass wir müde werden, die Lust verlieren, weinen, lachen, glücklich oder unzufrieden sind. Was jedoch nicht normal ist, ist es sich in einem Punkt festzufahren und stehenzubleiben. Beispielsweise stellt Ihre Situation ein durchaus normales Befinden im Fluss des Lebens dar.

    Der Grund für eine verspätete Heirat kann an einem gesundheitlichen Problem liegen, das Sie noch nicht erkannt haben. Der Grund warum Ihr Umfeld Sie depressiv macht, kann daran liegen, dass Sie einer Tätigkeit nachgehen die Ihre Kapazitäten überschreitet oder nicht Ihrer Natur entspricht. Egal, um welches der Probleme es sich handeln mag, es gibt für all dies Lösungen, so Allah will. Das Einzige für das es keine Lösung gibt, ist der Glaube daran es gäbe keine Lösung. Planen Sie Ihr Alltagsleben gut durch. Erstellen Sie einen Plan, der sich an Ihren Gebetszeiten orientiert. Für den Erfolg Ihrer Planumsetzung ist es vor allem ausschlaggebend, wie sehr Sie Ihr Essen und Ihren Schlaf kontrollieren können. Folgende drei Dinge müssen Sie unter guter Kontrolle behalten:
    SCHLAF, ESSEN UND FREUNDE.

  • Es ist möglich, dass Ihre Schlafprobleme durch Ihre Essgewohnheiten entstehen. Vielleicht essen Sie zu viel, zur falschen Zeit, zu deftig oder haben Schwierigkeiten mit dem Verdauungstrakt. Sie können diesbezüglich einen Ernährungsberater konsultieren. Falls Sie Ernährungsprobleme ausschließen können, sollten Sie Nachforschungen bezüglich Ihrer körperlichen Gesundheit anstellen. So oder so sollten Sie folgenden Plan sobald wie möglich in die Tat umsetzen:
    Verzichten Sie auf Ihren Mittagsschlaf zwischen dem Mittags- und Nachmittagsgebet. Legen Sie sich nachts immer zur selben Uhrzeit schlafen und stehen Sie zur selben Uhrzeit auf. Sie sollten nicht länger als sieben und nicht weniger als sechs Stunden schlafen. Essen Sie vor dem Schlafengehen nichts. Dabei sollte Ihre letzte Mahlzeit vor dem Schlafen mindestens drei Stunden zurückliegen. Verzichten Sie hierbei auf deftiges Essen, das schwer im Magen liegt. Limitieren Sie den Gebrauch von Internet und Handy. Kontrollieren Sie Ihren Freundeskreis. Sie müssen Freunde herausselektieren, die einen komplett anderen Lebensstil als Sie verfolgen. Mindern Sie Situationen, welche Diskussionen mit Ihren Eltern fördern. Wenn beispielsweise Ihre Eltern Sie sehen möchten, dann gehen Sie von sich aus zu Ihnen, bevor Sie den Wunsch dazu überhaupt äußern. Lassen Sie sich bei Ihren Eltern blicken, küssen Sie ihre Hände und Wangen, und ziehen Sie sich anschließend in Ihr Zimmer zurück. Dies wird dazu führen, dass sich Ihre Eltern weniger um Sie sorgen. Und wenn Sie sich in Ihr Zimmer zurückziehen, dann sagen Sie Dinge wie: „Fangt ja nicht ohne mich mit dem Essen an!“. Damit schenken Sie ihren Eltern ein Gefühl von Beachtung und Wichtigkeit. Dies sind einfache Dinge, die Ihnen jedoch Erleichterung bringen werden.
  • Vor allem müssen Sie die Erleichterung im Gebet spüren. Sie müssen die Zufriedenheit beim Rezitieren des Qur’ân erfahren. Bemühen Sie sich, dhikr zu machen, und vergessen Sie nicht: Das Leben ist eine Geduldsprobe im Sinne des dschihâd, die diejenigen gewinnen, die sich in Geduld und Standhaftigkeit ausüben. Geduld und Standhaftigkeit gelten für jede Zeit und jede Tat. Ich spreche du‘â’ für Sie und erbitte von Allah, den Erhabenen, dass er Ihr Herz mit Zufriedenheit füllt.

Nureddin YILDIZ