Was ist eine Rechtsschule? Wie muss unsere Sicht auf die Rechtsschulen sein?

Frage:
Was ist eine Rechtsschule (madhhab)? Wie muss unsere Sicht auf die Rechtsschulen sein?

Antwort:
Nach dem Gesandten Allahs – Friede und Segen seien mit ihm – und dem Ziel, aus dem Bestreben heraus, die von ihm hinterbliebene Religion besser auszuleben, entstanden verschiedene Rechtsschulen. Diese Rechtsschulen sind, wie es bei vorherigen Religionsangehörigen der Fall war, nicht darauf ausgelegt die Religion zurechtzubiegen. Die Untersuchungen, die auf der Fragestellung basieren: „Was meinte er damit?”, führten zur Gründung einer Rechtsmeinung. In diesem Sinne existiert die Anzahl an vier Rechtsschulen nicht. Es gibt eigentlich viel mehr Rechtsschulen. Die Zeit veranlasste es, dass einige in Vergessenheit gerieten. Wir als Muslime kennen nur unsere Identität als Muslim. Kein Muslim kann anhand seiner Rechtsschule betitelt werden, denn der Islam ist keine Religion, die eine ergänzende Betitelung nötig hat.

Bezüglich der Rechtsschulen müssen wir auf folgende Regeln achten:

1- Rechtsschulen sind ausschließlich Ergebnisse von wissenschaftlicher Absicht und Arbeit. Zumindest trifft dies auf die VIER bekannten Rechtsschulen zu. Politische Absichten und Bestrebungen als Grund zu deuten, ist rücksichtsslos. Abû Hanîfa und andere traten durch ihre Identität als Wissende in den Vordergrund. Sie sind Persönlichkeiten, die in der Geschichte nur selten vorkommen. Sie hatten nicht die Absicht, Rechtsschulen zu gründen und Anhänger zu gewinnen. Die Vorläufer der vier Rechtsschulen waren bekannt durch Ihre Gottesfurcht und Frömmigkeit (taqwâ). Sie hatten nicht die gleichen Möglichkeiten wie wir, nicht die Quellen die wir haben und nicht die Sammlung an Erfahrungen. Trotzdessen legten sie einen außerordentlichen Eifer an den Tag und haben versucht etwas für die Religion zu leisten. Die islamische Gemeinschaft sollte sie nur mit Achtung erwähnen und Bittgebete (du‘â’) für sie sprechen. Möge Allah mit ihnen zufrieden sein.

2- Kein Imam einer Rechtsschule sagte, „folgt mir”. Jedoch waren sie auch nicht zufrieden, wenn man ihre Aussagen nicht ernst nahm. Sie glaubten mit Aufrichtigkeit daran, dass ihre Aussagen zur Religion beitragen. Es mag sein, dass Nachfolger getäuscht wurden, indem sie diesen Vorbildern auf übertriebene Weise gefolgt sind. Wie auch immer, Muslime sind nicht gezwungen, einem Imam einer Rechtsschule zu folgen. Für uns sind der Qur’ân und die Sunna Schlusswort. Wir ahmen den Rechtsschulen nach, weil sie uns den Qur’ân und die Sunna auf praktikable Weise übermitteln. In dieser Nachahmung muss das Bindeglied zwischen uns und ihnen, der Qur’ân und die Sunna sein.

3- Um die Rechtsschulen verstehen zu können, müssen Sie wissen, dass es nicht so einfach ist, zu sagen: „Dieser Vers im Qur’ân meint folgendes […]” Der Qur’ân ist ein tiefer Ozean. Er mag beim Hineintauchen für jeden eine Fülle an Perlen hervorbringen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Imame eben sagten: „Der Vers soundso von der Sure soundso mein folgendes […]“, sind eben etwas wie Rechtsschulen entstanden. Hinter Aussagen wie: „Wozu braucht man Rechtsschulen? Das Buch Allahs ist für jeden verfügbar und verständlich!”, verbirgt sich eigentlich der Kern einer neuen Rechtschulengründung. Mit anderen Worten: „Ich weiß es besser!”

4- In unserer heutigen Zeit geht das Wissen über den Qur’ân und die Prophetenaussagen (ahâdîth) sogar über den allgemeinen Wissensstand eines Moschee-Vorbeters  hinaus. Unter diesen Voraussetzungen hört man häufig die Aussage: „Halte fest an Qur’ân und Sunna”. Diese Aussage, die an Muslime gerichtet ist und den Islam ausleben möchten, ist eigentlich so gut wie nicht umsetzbar. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es den Muslimen nicht möglich, Urteile aus den Quellen (Qur’ân und Sunna) abzuleiten und die Religion danach auszuleben. Deshalb sind die vorhandenen Urteile aus früheren Zeiten und deren Widmung an die muslimische Gemeinschaft anhand der geschriebenen Werke von Rechtsgelehrten bzw. der Rechtsschulen, ein wahrer Segen. Den Wissenden unserer Zeitepoche ist es nicht möglich, diese einfach zu ignorieren. Daraus resultiert, dass es für Muslime notwendig wird, einer Rechtsschule zu folgen. Aber es muss unterschieden werden zwischen, einer Rechtsschule folgen, und eine Rechtsschule auf die Stufe der Religion emporzuheben. Letztenendes sind Urteile (idschtihâd) menschliche Erzeugnisse. Die Sicht auf diese, als wären sie Qur’ân-Verse oder Prophetenaussagen (ahâdîth), macht sie noch lange nicht zu diesen.

5- Wenn man von der einen Rechtsschule in die Andere regelrecht flüchtet, wegen religiösen Urteilen, die einem zu schwierig erscheinen, so greift der Islam ohnehin in Niemandes Entscheidungskraft und Verantwortung ein. Somit ergibt sich nicht die Notwendigkeit, die Rechtsschulen als Mittel zum Seitensprung nehmen zu müssen. Dient aber das Urteil eines anderen Rechtssgelehrten als Lösungsweg für eine schier unlösbare Problematik eines Muslims, so sagen wir, dass Allah die Herzen ohnehin kennt und deshalb niemand aufgrund seiner Absicht kritisiert werden muss.

6- Rechtsurteile (idschtihâd) und Rechtsschulen beinhalten im Grunde Themen über islamisches Recht (fiqh). Die Toleranz bei der Urteilsfindung im islamischen Recht (fiqh) ist groß. Im Bereich der Glaubensfundamente (‘aqîda) gibt es diese Toleranz nicht.

Ein Beispiel: So wie wir nicht sagen können, dass man laut Rechtsschule A  an die Engel glaubt und laut Rechtsschule B nicht, werden Glaubensangelegenheiten (‘aqâid) bei Rechtsschulen nicht auf die gleiche Weise betrachtet wie rechtliche Angelegenheiten (fiqh). Die Rechtsschulen streiten nicht um Glaubensfundamente. Die Diskussionen belaufen sich nur auf Randthemen, die auf einer dementsprechend geeigneten Umgebung thematisiert werden.

7- So wie es nicht das Recht der Muslime ist, sich gegenseitig anhand ihrer Rechtsschulen zu bewerten, so gibt es in der Geschichte auch kein Umfeld, welches diese Art von Sichtweise zuließ. Es ist zumindest eine Verantwortungslosigkeit, über Rechtsschulen oder um deren Drehpunkt zu debattieren, ohne die allgemeine Lage der muslimischen Gemeinschaft (umma) zu beachten und dabei nicht zu schauen, wie sehr sie in der Lage ist, sich auf den Beinen zu halten.

8- Das Sunnitentum und Schiitentum gilt es, von dem eben angesprochenen Verständnis der Rechtsschulen auszuschließen. Vor allem das Schiitentum, ist in der Geschichte aufgrund eines der größten dramatischen Vorkomnisse entstanden. Sie ist baut auf diesem Ereignis auf und wird dadurch emotional aufrechterhalten. Aus dieser Sicht betrachtet darf sie keinen wichtigen Stellenwert, im doch so großen Konstrukt des Islams, einnehmen. Im Sunnitentum jedoch, herrscht die Tatsache, den Islam ausgeglichen und in seiner orginalen Form auszuleben und zu verstehen.

9- Muslime werden auch über das Thema der Rechtsschulen von Allah geprüft. Im Bereich der Rechtsschulen ein ausgeglichenes und harmonisches Verständnis zu bewahren, ist eine gute Eigenschaft eines Muslims. Zum Einen gibt es das Verständnis, die Rechtsschulen vor den Islam zu stellen. Zum Anderen werden diejenigen ignoriert, die den Islam bis heute geprägt haben. Wir müssen an dem Verständnis und dem Willen festhalten, die Wahrheit der Dinge zu erfahren und dieser zu folgen, damit wir nicht in die Über- oder Untertreibung abfallen und so die Prüfung Allahs verlieren.