Warum gestalten die Gelehrten die Religion nicht einfacher?

Frage:
Wenn es ind er Religion des Islam die Möglichkeit gibt, im Falle einer Notlage bzw. schwierigen Situation ein leichteres Urteil zu fällen, warum machen die Gelehrten davon nicht Gebrauch? Bedeutet der Islam, immer den schwierigeren Weg zu bevorzugen? Haben die Gelehrten nicht die Autorität, den Islam zu vereinfachen? Wenn die Gelehrten ein Urteil (’idschtihâd) fällen können, können Sie den Muslimen dann nicht das Leben vereinfachen? Eigentlich möchte ich Folgendes fragen: Warum versuchen einige Gelehrte andere Gelehrte als schlecht darzustellen, nur weil sie versuchen den Muslimen durch einfachere Urteilem zu helfen? Ist das denn kein Neid?

Antwort:
Die Gebote (farâ’id) und Verbote (harâm) sind im Islam festgelegt und können nicht verändert werden. Nur Allah, der Erhabene, kann festlegen, was Gebote und Verbote sind. Keiner seiner Diener, möge er doch so wissend und ein großer Gelehrter sein, hat das Recht festzulegen, was harâm ist und was nicht. Der Gesandte Allahs bestimmt etwas als Gebot/Verbot, weil er die Offenbarung (wahî) erhielt. Für alle Muslime, bildet diese Regel die Grundlage ihres ’îmân.

Damit die Menschen aber nicht in eine Notlage oder aussichtslose Situation fallen, lies Allah, der Erhabene, durch Seinen Gesandten ﷺ den Menschen GENEHMIGUNGEN (rukhsa) zuteilwerden. Diese Genehmigungen erlaubten es, einige Urteile (Gebote/Verbote) aufzulockern, aufzuheben oder zu verringern. Ein hier sehr bekanntes Beispiel ist die Kürzung der Gebetseinheiten von vier auf zwei, während man sich auf einer Reise befindet.

Dabei wissen wir vom Gesandten Allahs ﷺ selber, dass bei Taten, in denen Allah, der Erhabene, eine Erleichterung unter bestimmten Umständen genehmigt, Allah damit zufrieden ist, wenn Muslime diese Erleichterung in Anspruch nehmen. Wenn also der Muslim eine Erleichterung in Anspruch nimmt, ist das keine Asnutzung oder Faulheit, sondern es ist eine Tat, die Allahs Wohlgefallen genießt.

Die Gelehrten können im Grunde in Fällen von fard oder harâm keine Genehmigungen/Erleichterungen[1] einführen, sondern nur ein Urteil (’idschtihâd) fällen, dass diese oder jene Tat auch in den Bereich der Genehmigung/Erleichterung zugerechnet werden kann. Diese Art von ’idschtihâd hat im Islam auch seinen Platz. Wie sehr auch die Gelehrten keine Bemächtnis haben, Gebote und Verbote einzuführen oder aufzuheben, haben Sie sich in einem tiefen Verständniss in islamischem Wissen bewiesen, womit Ihre Urteile akzeptiert und hoch angesehen wurden. Hier besteht jedoch ein klarer Unterschied zwischen den Genehmigungen/Erleichterungen, die Allah seinen Diener zuteilwerden ließ und den Gelehrten, die bewusst einen ’idschtihâd fällen, die den Menschen leichter fällt. Wenn dieser Unterschied verstanden wird, so wird auch deutlich, dass die Gelehrten nicht dazu befugt sind, den Islam nach dem Vergnügen und den Wünschen der Menschen anzupassen. Kein Gelehrter darf sich zu so etwas die Befugnis erteilen. Gewiss wird auch keine Person, die sich Gelehrter nennt, aber den Wagemut eines Verrückten hat und sich eine solche Befugnis erteilt, seinen Platz in der Umma finden. Dies gilt auch für diejenigen, die ihn berichtigen und sich seine Gefolgschaft nennen. In einigen Zeitepochen gab es Personen, welche die Genehmigungen/Erleichterungen seitens Allahs, des Erhabenen, ausgenutzt haben, um den Gelehrten vorzuwerfen, dass sie versuchen den Islam zu verfälschen. Es gab jedoch auch einige Gelehrte, die durch die ständige Bevorzugung der lockeren und einfachen Meinung den Versuch gewagt haben, eine Art neue Religion zu erschaffen. Am Ende wurde aber deutlich, dass es nicht Allahs Wille ist, einen Islam zuzulasen, dessen Urteile (’idschtihâd) auf den persönlichen Neigungen (nafs) der Gelehrten basiert. Dies wäre keine Religion, die Allah, der Erhabene, für seine Diener vorherbestimmt hat.

Folgende Unterschiede können wir festlegen, wenn wir die Genehmigungen/Erleichterungen Allahs auf der einen Seite und die erleichternden Urteile der Gelehrten auf der anderen Seite betrachten:

Eine RUKHSA ist ein islamsiches Urteil. Dieses Urteil wurde von Allah erteilt. Wenn wir das Gebet als Beispiel nehmen, so ist die Verkürzung des Mittagsgebets, während einer Reise, auf zwei Gebetseinheiten ein Urteil (hukm) Allahs, genauso, wie die Verrichtung von vier Gebetseinheiten, wenn man nicht auf Reisen ist, auch ein hukm Allahs ist. Die Urteile (‘idschtihâd) der Gelehrten sind keine Offenbarungen (wahî). Sie entstehen aus einer persönlichen Überzeugung und kann durch andere Urteile ersetzt werden. Das Urteil Allahs kann jedoch mit nichts ersetzt werden. Während die Urteile und Genehmigungen (rukhsa) Allahs keinen Fehler beinhalten, triftt dies auf die Urteile der Gelehrten nicht zu. Alle können einen gewissen Anteil an Fehlern beinhalten. Es wird dazu angehalten, von verschiedenen Genehmigungen Gebrauch zu machen, die von Allah festgelegt wurden, denn wenn der Muslim diese Erleichterung umsetzt, so erhält er Allahs Belohnung. Wohingegen bei den Urteilen von den Gelehrten gesagt wird, dass jenes Urteil bevorzugt werden sollte, dass sich näher an der tawqâ befindet. Wer jedoch nur die Urteile von den Gelehrten herauspickt, die ihm gefallen, der folgt nichts anderem als seinen Gelüsten (nafs). Eine Genehmigung (rukhsa) wurde aufgrund einer Bedingung erteilt. Wenn diese Bedingung nicht mehr existiert, so ist die rukhsa auch aufgehoben. Dies ist wie bei der Verkürzung der Gebete während einer Reise. Sobald die Reise endet, ist die Verkürzung der Gebete auch nicht mehr genehmigt.

Letztendlich sollten wir Folgendes wissen:

Die Religion gehört Allah, dem Erhabenen, und sie wird so erhalten bleiben wie Er sie bestimmt hat. Weder die Gelehrten noch Politiker oder andere Personen haben das Recht, die Religion zu erschweren oder zu vereinfachen. Ein Diener Allahs zu sein, beinhaltet, dass jeder seine eigenen Grenzen gegenüber dem Schöpfer kennen muss, und wir gehören zu dieser Dienerschaft, al-Hamdu li-Llâh.

[1] Ruḫṣa, arab.: رخصة, türk.: Ruhsat.